Categories
Remtomastunde

Ich höre immer “Whisky”?

Tito stieg aus seinem Remtoma-Oldtimer und rief nach Whisky. Die Augen der Passanten richteten sich verwundert auf ihn. Verständlich, oder wie würden Sie schauen, wenn ein junger Mann aus einem alten Auto steigt und so laut nach Whisky ruft, dass Sie beinahe schon Mitleid verspüren und ihm am liebsten Ihre Hilfe anbieten würden? Mütter zogen ihre Kinder weg und die Neugier auf dem Parkplatz vor dem Einkaufszentrum legte sich. Herzhaft gähnend und sich ausgiebig streckend kletterte der schwarze Hund langsam von der Rückbank und setzte sich erwartungsvoll zu Titos Füßen. Eine junge Frau eilte mit schnellen Schritten auf die beiden zu. In ihrer Hand hielt sie ein kleines Fläschchen des Getränks, nach dem Josip Broz, wie Titos bürgerlicher Name lautete, verlangt hatte.

Wieder erstaunt und belustigt schüttelte er den Kopf und lächelte die attraktive Frau an. Er zeigte auf seinen Remtoma-Hund und sprach so leise, dass nur sie und sein vierbeiniger Freund ihn verstanden. Whisky. Die Dame errötete und packte den Flachmann in ihre Handtasche. Kopfschüttelnd drehte sie sich um und stampfte davon, um diesen peinlichen Moment schnell und dauerhaft hinter sich zu lassen. “Was habe ich mir nur dabei gedacht”, sprach Tito zu sich selbst und ließ seinen Blick auf Whisky ruhen. Hätte er gewusst, welche Auswirkung die Namensgebung des Hundes nach sich zog und wie sein ständig lauter Ruf nach Whisky die Menschen in seinem Umfeld irritierte, hätte er den Hund besser mit einem konservativen Namen bedacht. Die Idee für den Namen kam ihm bei einem Kneipenbesuch mit Freunden und ward eher aus einer Laune heraus, als aus seiner Überzeugung geboren. Im postkommunistischen Ex-Jugoslawien ist es nicht so einfach wie in anderen Ländern, an Whisky zu kommen. Sein bester Freund meinte an besagtem Abend, dass der Name ideal wäre und mit Sicherheit einige Einladungen in gesellige Runden nach sich zog. Er sollte recht behalten, doch hatte das Ganze einen unübersehbaren und immer häufiger spürbaren Haken. Immer wenn aus Titos Mund der Ruf nach Whisky erklang, erntete er irritierte Blicke und musste damit leben, dass Mütter ihre Kinder aus seiner Nähe zogen und Paare lachend an ihm vorbei liefen. Gelegentlich passierte etwas, wie er es eben mit der attraktiven Frau erlebt hatte. Er schüttelte erneut den Kopf und entschied, in ein anderes Einkaufszentrum zu fahren und diesen Parkplatz so schnell wie möglich zu verlassen. Mit einem Fingerzeig und bewusst ohne die Aussprache des Namens beorderte er den Hund zurück in seinen Oldtimer, stieg ein und ließ den Motor an. Beim Verlassen des Parkplatzes passierte er den roten Kleinwagen der Frau, die seinen Ruf erhört und sich angesprochen gefühlt hatte. Er beugte sich über den Beifahrersitz, kurbelte das Fenster quietschend herunter und rief ihr zu. Allein sein Anblick ließ sie erneut erröten, sodass er nur eine leise Entschuldigung murmelte und mit nadelndem Motor davon fuhr.

Er verließ die Stadt und lenkte den Wagen in die ländliche Gegend, in der er einen langen Spaziergang mit seinem Hund anstrebte. “Aber vorher muss ich noch Milch holen”, meinte er beiläufig und tat das, was er auf seinen Touren mit Whisky immer tat. Er sprach mit dem Hund, als wäre er ein Partner der ihn versteht und ihm eine Antwort geben könnte. Whisky hechelte und schien sich nicht für Titos Worte zu interessieren. Am Straßenrand entdeckte er einen kleinen Stand mit Obst und Gemüse, Eiern und Milch. Mit einem quietschenden Geräusch brachte er den Boliden zum stehen. Das Fenster auf der Beifahrerseite war noch immer heruntergekurbelt und Whisky genoss es, den Kopf in den frischen Wind zu hängen und seinem Herrchen nachzublicken. Tito ging ohne einen Blick zurück auf den Händler zu, begrüßte ihn freundlich und nahm die Angebote am Stand in Augenschein. Ihm fiel nicht auf, dass Whisky längst Witterung aufgenommen und unter dem Stand eine Katze entdeckt hatte. Mit einem galanten Sprung hechtete Whisky aus dem offenstehenden Fenster und legte laut bellend an Geschwindigkeit zu. Ehe sein Herrchen etwas sagen konnte, rannte ihn der Hund um und ließ ihn mit dem Rücken zuerst auf den Boden aufknallen. Mit rudernden Armen versuchte er noch, sich zu fangen und den unausweichlichen Sturz zu verhindern. Im Fallen rief er “Whisky, das ist jetzt nicht wahr!” und schlug mit einem lauten Poltern auf dem harten Boden auf. “Wodka”, schrie der Händler im gleichen Augenblick und hielt sich mit Mühe am Tisch fest. Die Katze hatte längst das weite gesucht und Whisky saß unschuldig über Tito, der noch immer am Boden lag und sich nur mit Mühe aufrappelte. Plötzlich erkannte der Händler die Skurrilität des Moments und brach in schallendes Gelächter aus. Nein, der Mann vor seinem Stand war nicht betrunken und hatte auch nicht gefragt, ob es Whisky gäbe. Der Händler atmete erleichtert auf, hatte er doch beim lautstarken Ausruf bereits mit einer Kontrolle gerechnet und überlegt, wie er seine Schwarzbrennerei verheimlichen und einer empfindlichen Strafe entgehen konnte. “Sie heißt Wodka?”, war Titos Frage, während er sich ebenfalls den Bauch hielt und vor Lachen kaum vom Boden aufstehen konnte. Dem Händler standen die Tränen in den Augen, wodurch er die Frage nur mit einem Nicken und einem erneuten Lachanfall beantworten konnte.

Whiskys Aufregung ließ nicht nach, auch wenn die Katze bereits in der hinter dem Händler befindlichen Scheune verschwunden und für ihn unerreichbar war. “Kneipenidee”, meinte der Händler und hielt sich noch immer den schmerzenden Bauch. Nachdem sich die beiden beruhigt hatten, griff der Händler unter seinen Tisch und holte ein kleines Fläschchen hervor, das er sich an die dicken Lippen führte und einen kräftigen Schluck vom braunen Gebräu nahm. Er rülpste lautstark und die Whiskyfahne war unschwer zu verkennen. Als er die Flasche in Titos Richtung hob, schüttelte dieser den Kopf und lehnte dankend ab. “Milch”, brachte er hervor und grinste schief, ehe er erneut in lautes Gelächter ausbrach. Der Händler sah ihn mit gerunzelten Augenbrauen an und ergriff die Remtoma-Milchflasche, während Tito in seinem Portemonnaie wühlte und das Geld in kleinen Münzen herauskramte. Noch immer mit einer Träne im Augenwinkel schlossen die beiden ihren Handel ab. Der Händler ließ die Whiskyflasche in einer hektischen Bewegung unter den Verkaufstisch gleiten und sah über Titos Kopf hinweg. Während dieser sich den Staub von der Hose klopfte und sich langsam zu seinem Auto umdrehte, hatte er die anfahrende Polizei gar nicht bemerkt und war umso erstaunter, als diese gezielt auf ihn zukam. Nicht nur die Autopapiere und den Führerschein wollten sie sehen. Der ältere und korpulentere der beiden Polizisten griff in seine Uniformtasche und holte ein Gerät heraus. “Pusten”, ordnete er an und fuhr leiser fort: “Wir haben Sie beobachtet und es ist klar, dass Sie nicht nüchtern sein können. Das Auto”, er blickte hinüber zu Titos Oldtimer, “wird wohl hier stehenbleiben, während Sie uns auf die Wache begleiten.”

“0,0 Promille”, stellte der Polizist mit einem Stirnrunzeln fest. Nach Titos Auffassung war es höchste Zeit, den Schauplatz zu verlassen und mit dem Hund ein paar Schritte durch den Wald zu gehen. Er verabschiedete sich höflich, griff nach der Milch und verschwand im Auto. Whisky saß noch immer vor dem Stand und ließ seinen Blick zwischen den Polizisten und dem Händler schweifen. “Whisky”, rief er seinen Hund, welcher sich kein Stück bewegte und mit der Nase unter dem Tisch schnüffelte. “Whisky”, rief er noch einmal, diesmal lauter und mit einer klaren Aufforderung die keinen Widerspruch duldete. Langsam erhob sich der Hund, trottete unter den Tisch und als er mit seinem Kopf wieder hervorkam, waren sowohl der Händler, wie auch die Polizisten und Herrchen sprachlos. Zwischen seinen Zähnen hielt Whisky den Selbstgebrannten. Der Hund sprintete los, sprang durch das Beifahrerfenster ins Auto und hinterließ, wenn man das Geräusch richtig deutete, ein paar unschöne Kratzer auf dem sonst so gepflegten Lack des Oldtimers. In Titos Gedanken kreisten verschiedene Optionen, die nun folgen und seinen weiteren Tagesplan verändern könnten. Er überlegte nicht lange, ließ den Wagen an und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Im Fußraum seines Autos lag der Whisky, den der Hund ihm mitgebracht und beim Sprung in den Wagen fallengelassen hatte. Nach einem langen Spaziergang mit Whisky an der Leine und dem anderen Whisky in seiner Hosentasche beschloss er, zurück in die Stadt zu fahren und seinen Freunden von diesem wahrhaft unglaublichen Erlebnis zu erzählen.

Er fuhr auf den Parkplatz, den er am Morgen bereits aufgesucht und nach dem peinlichen Moment mit der attraktiven Frau wieder verlassen hatte. Der Hund machte keine Anstalten aus dem Fahrzeug zu kommen und seinem leisen Ruf zu folgen. “Whisky!”, rief er nun lauter und warf einen Blick in den Wagen, wo sich der Hund müde und entspannt auf dem Rücksitz zusammengerollt hatte. Während Whisky nur herzhaft gähnte und keine Anstalten machte, aufzustehen und seinem Herrchen zu folgen, ruhten zahlreiche Blicke der Passanten in Titos Rücken und schienen ihn zu durchbohren.

Titos Körper zuckte, als er eine leichte Berührung auf seiner Schulter fühlte und eine ihm vertraute weibliche Stimme hörte. Er drehte sich um und die Frau vom Morgen reichte ihm den Flachmann. Sie lächelte, nickte wissend und drehte sich ohne ein Wort um. Er nahm den Whisky, damit sie sich nicht schämte.

 

‘ eof ‘